Wort zum Sonntag 27.03.2011 „Lernen von den Meisen“
Wissen Sie, was ein Meisenknödel mit der Fastenzeit zu tun hat?
Meisenknödel, das sind diese kleinen Säckchen mit unterschiedlichen Körnern gefüllt, eingeschmolzen in gesundes Fett, die man am Balkon oder im Garten aufhängen kann, um die Vögel während der kalten Jahreszeit zu füttern. Hat unsere Tochter diesen Winter auch gemacht und zwar Kiloweise. Die nicht so gut schmeckenden Körner liegen jetzt in meinen Blumenbeeten und werden dort wohl anwachsen. Hab ich auch was davon. Für meine Enkelkinder – aber auch für meine Frau (für mich allerdings auch) – ist das immer wieder schön, die Vögel beim Fressen zu beobachten. Viele Arten waren vertreten. Alle Vögel im Kreis Gütersloh wussten Bescheid – bei uns gibt es Futter reichlich. Die Säckchen hingen immer an der gleichen Stelle. So ging das – ob Schnee oder nicht, 5 Monate lang – durch den ganzen Winter durch.
Weil ich den Schmutz leid war, wurden jetzt zum ersten Mal die Säckchen an einer anderen Stelle aufgehängt. Die ersten hungrigen Schnäbel kamen auch bald. Vor allem Meisen und Spatzen. Und an der alten Stelle, dort, wo sonst immer die Säckchen hingen, kamen auch immer wieder Meisen an. Blickten sich um, schienen verwirrt, und schauten so als wollten sie klagen, dass da doch immer was für sie war. Und flogen wieder weg. Leer ausgegangen. Den neuen Ort – nur wenige Meter nebendran – haben sie anscheinend zunächst nicht gefunden. Komisch. Aber das ist wohl die Macht der Gewohnheit. Oder sie haben das bei den Menschen abgeschaut, immer der gleiche Trott – haben wir schon immer so gemacht.
Klingt zunächst banal, aber vielleicht kann man das von den Meisen und Spatzen lernen: Wer sich immer nur auf Althergebrachtes verlässt, wer durch die Gewohnheit unbeweglich wird, wer zu sehr an Vergangenem festhält, wer immer im gleichen Trott lebt, der geht irgendwann leer aus. Der merkt auch nicht, wenn Veränderungen Neues mit sich bringen. Der verstellt sich den Blick für das Neue. Der erkennt nicht, das neue „Nahrung“, neue Kraft da ist. Der beschwert sich vielleicht noch, dass es früher besser war, ohne zu merken, dass das Neue Vorteile und Gutes und bessere Perspektiven hat.
Unsere Vögel an der Terrasse waren nur auf der Suche nach etwas zu fressen. Aber unbewusst haben sie mir von der Fastenzeit erzählt: Von der Zeit, in der es Altes zu überdenken gilt, Scheuklappen wegzuwerfen, einen neuen Blickwinkel zu finden; und in der es heißt, aufmerksam zu werden für das, was Neues kommt. Es könnte sich lohnen.
Ihnen noch eine gesegnete Fastenzeit. Augen auf! Das Halleluja kann man schon hören. Ich freue.
Ihr Arthur Springfeld (Diakon)
Ein wunderbarer Tag soll das heute werden, sagt der Wettermann. Warm und sonnig, Vorfrühling – beinah wie im Paradies.
Wenn da bloß nicht diese Bilder wären: Das Erdbeben in Japan, die gewaltige Flutwelle, die alles mit sich reißt, verstörte Menschen. Wie sich das wohl anfühlt, wenn man den Boden unter den Füßen verliert? Wenn unsicher wird, worauf man sich bisher verlassen hat. Ich denke an die Menschen, die alles verloren haben, was ihr Leben bedeutet hat. Ich hoffe und bete, dass sie bald wieder auf das Leben vertrauen können und Halt finden.
Geologen wissen Erklärungen für diese Katastrophe, reden von Erdplatten und tektonischen Verschiebungen. Und doch bleibt es im Grunde unfassbar, dass das Leben so bedroht ist. Dafür gibt es keine Erklärung, außer vielleicht, dass die Welt eben nicht das Paradies ist. Deshalb gibt es beides: Wunderbare Frühlingstage – und so schreckliche Katastrophen. Und es zeigt sich immer wieder, welche Gefahren in den Entwicklungen des Fortschritts liegen, die uns doch eigentlich das Leben leichter machen sollen. Die beschädigten Atomkraftwerke in Japan sind jetzt eine weitere, unberechenbare Gefahr. Gutes und Böses liegen ganz nah beieinander in unserer Welt, die nicht das Paradies ist. Wenn ich die verzweifelten Menschen dort in Japan sehe, dann macht mich das ängstlich und traurig.
In der Bibel wird erzählt, wie das Paradies verloren gegangen ist. Diese Geschichte ist mir eingefallen, weil sie gerade heute in den evangelischen Kirchen vorgelesen wird. Sie kennen die Geschichte von Adam und Eva vielleicht, mit eindrücklichen Bildern wird erzählt, wie die Welt geworden ist, wie sie ist: wunderschön und schrecklich. Gutes und Böses ganz nah beieinander, manchmal sogar in einem einzigen Menschen. Es friert mich, mitten im Frühling, wenn ich daran denke.
Aber die Geschichte erzählt auch etwas anderes: Gott selbst, heißt es, rüstet die Menschen aus, damit es sie nicht friert in dieser schrecklichen, schönen Welt. Er macht ihnen Kleider, sagt die Bibel, damit es nicht so kalt wird, wenn der Schreck ihnen in die Glieder fährt. Damit sie nicht frieren, wenn der Tod ihnen ganz nah kommt. Er gibt ihnen Kleider. Ich verstehe das so: Gott gibt ihnen das Mitgefühl. Gibt den Menschen die Liebe. Damit es nicht so schrecklich kalt wird. Damit sie einander Mut machen können zu helfen, zu trösten und neu anzufangen, wenn alles in Trümmer gefallen ist.
Gott hat uns Menschen die Liebe gegeben, damit wir füreinander da sein können, gerade weil die Welt nicht das Paradies ist. Ich hoffe, dass auch in Japan niemand allein sein muss mit seinem Leid. Vielleicht können ja auch unsere Gedanken und Gebete ein bisschen dazu helfen.
Heute und in den letzten Tagen reihe ich mich ein in diese lange Kette von Menschen, die beten. Ich ringe um Worte, weiß oft genug gar nicht, was ich sagen soll. Ich bete vor allem darum, dass Gott all das fasst und umfasst, was ich nicht fassen kann. Dass all die, die in Japan von Erdbeben, Tsunami und atomarer Katastrophe bedroht sind, Hoffnung und Zukunft bleibt. Das hört sich gestammelt und hilflos an – und das ist es auch. Aber es hilft mir und vielleicht auch meiner Tochter, zumindest ein bisschen mit dieser unfassbaren Situation umzugehen. Ich bete: »Gott, sei bei den Menschen in Japan. Steh ihnen zur Seite. Und sei auch bei mir, in meiner Fassungslosigkeit.«
Liebe Hörerinnen, liebe Hörer. Bei meinem Nachdenken über die Katastrophe in Japan und darüber, was sie herausfordert, drängt sich mir ein Zusammenhang auf, der vielleicht überraschend klingt. Eine Verbindung nämlich mit Grundgedanken der Fastenzeit. In der Bibel geht es da nicht um Verzicht und Askese-Leistungen. Da heißt fasten: die Sinne schärfen, berührbar sein für die Not anderer, einen realistischen Blick gewinnen und mit dem, was ich dann sehe, das Leben verändern. Das meint Fasten im biblischen Sinn. Deshalb möchte ich schließen mit einem Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja aus dem Alten Testament:
Das ist ein Fasten, wie ich es liebe, spricht Gott: die Fesseln des Unrechts
zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten
freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen,
an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins
Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und
dich deinen Verwandten nicht zu entziehen.