Friedensgebet St. Marien Kaunitz 01.06.16 zum Gedenken an ertrunkene Flüchtlinge
Lass die Tiefe mich nicht verschlingen… Ps.69,16
LIED: 422 1-3 Ich steh vor Dir mit leeren Händen Herr
A: Liebe Freunde des Friedens, schön, dass ihr da seid.Wir sind versammelt zu diesem Gedenkgottesdienst im Namen Gottes, der sich um jedes seiner Geschöpfe wie ein Vater und eine Mutter sorgt, der sich in Jesus Christus an die Seite der Schwachen und ungerecht Behandelten stellt, und der uns in seinem Heiligen Geist die Fähigkeit der Anteilnahme und die Kraft des Widerstands verleiht gegen alles, was Leben bedroht und zerstört. Wir vertrauen darauf, dass unsere Hilfe von dem Herren kommt, der Himmel und Erde gemacht hat.
Und so beginnen wir in seinem Namen: Im Namen des Vaters und des Sohnes ….. Der Herr sei mit euch!
„Lass die Tiefe mich nicht verschlingen …!“, unter diesen Gebetsruf aus dem 69. Psalm ist dieser Gottesdienst gestellt. Ich denke, dass mit dieser Formulierung der Beter des Psalms seine Stimme jenen Menschen leiht, an die wir heute in diesem Gottesdienst denken wollen. Es sind Menschen, zumeist Flüchtlinge aus Afrika, die im buchstäblichen Sinn des Wortes in der Tiefe versanken, in den Tiefen des Mittelmeeres und des Atlantik.
Sie wurden schiffbrüchig oder ertranken in den Fluten teils vor den Augen der Weltöffentlichkeit,
teils aber auch unbemerkt und unbekannt. Sie sind nicht Opfer tragischer Unglücksfälle geworden. Sie sind auch nicht leichtgläubig gewissenlosen Menschenhändlern ins Garn gegangen.
Sie haben sich frei und oft im Wissen um die Gefahren zur Flucht entschlossen, weil die Verhältnisse in ihren Heimatländern ihnen keine andere Wahl ließen, weil, wie mir einmal ein Flüchtling so eindrucksvoll sagte, „ich einfach nur leben will!“.
Sie nahmen für sich ein Recht in Anspruch, das das oberste aller Menschenrechte ist, das Recht auf Leben. Sie suchten dieses Leben – ein klein wenig Glück und eine kleine Chance für sich und ihre Familien – bei uns im reichen Europa.
Aber sie fanden stattdessen den Tod. Wir wissen nicht, wie viele die Tiefe verschlang.
An sie denkt – außer ihrer Familie, die auf ein Lebenszeichen wartet, sonst niemand, da wir sie in Europa ja nicht einmal zu Gesicht bekommen haben, es sei denn sie und ihre geringe Habe wurden an den Strand gespült.
Von der Öffentlichkeit werden sie nur sporadisch – bestenfalls in Zahlen – wahrgenommen und von der Politik als Kollateralschaden der Globalisierung scheinbar billigend in Kauf genommen.
Ihrer wollen wir in diesem Gottesdienst gedenken.
Sind sie doch einmalige Geschöpfe Gottes mit Fähigkeiten, die sich nicht entfalten konnten, mit Träumen, die sich nicht erfüllten und Chancen, die sie nie erhielten.
Sie waren Gottes geliebte Kinder, um die er trauert, und nach denen er uns fragen wird, wie er einst den Kain fragte: Wo ist dein Bruder Abel?
Aber wir wollen ihrer nicht nur gedenken, sondern wir wollen sie auch beklagen. Denn sie sind ja nicht Opfer eines tragischen Geschicks, sondern eines ganz bewusst ausgebauten Systems, um uns die Armen vom Leibe zu halten, koste es, was es wolle.
Die Festung Europa wird immer unzugänglicher und wir alle leben irgendwie davon und dann auch damit. Diese unsere Verstrickung in ein System, das Arme ausgrenzt und tötet, wollen wir beklagen, auch um der Vielen willen, die tagtäglich an dieser Festung scheitern.
Wir wollen uns und sie dem Erbarmen Gottes befehlen, dessen Barmherzigkeit grenzenlos ist und der auch die bei ihren Namen rufen wird, deren Namen wir nicht kennen, weil er nicht nur ein Gott in der Höhe, sondern auch in der Tiefe ist.
Gott der Herr begleite uns in diesem Gottesdienst durch sein aufrüttelndes und aufrichtendes Wort.
Er sei mit seinem Segen bei uns.
LIED: 450 Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht (Kanon)
Psalm 69 (gemeinsam)
Gott, hilf mir!
Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.
Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist;
ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen.
Ich habe mich müde geschrien,
mein Hals ist heiser.
Meine Augen sind trübe geworden,
weil ich so lange harren muss auf meinen Gott.
Ich aber bete zu dir, Herr, zur Zeit der Gnade;
Gott, nach deiner großen Güte erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.
Errette mich aus dem Schlamm,
dass ich nicht versinke,
dass ich errettet werde vor denen, die mich hassen,
und aus den tiefen Wassern,
dass mich die Flut nicht ersäufe und die Tiefe nicht verschlinge
und das Loch des Brunnens sich nicht über mir schließe.
Erhöre mich, Herr, denn deine Güte ist tröstlich;
wende dich zu mir nach deiner großen Barmherzigkeit
und verbirg dein Angesicht nicht vor deinem Knechte,
denn mir ist angst; erhöre mich eilends.
Nahe dich zu meiner Seele und erlöse sie,
Gott, deine Hilfe schütze mich!
Musik meditativ (leise)
Gott, wir bringen vor dich unsere Klagen über die Leiden und die Not deiner Kinder in Afrika und so vielen Plätzen der Erde. Sieh an ihre Verzweiflung, höre ihre Schreie nach Leben in Gerechtigkeit und Frieden.
Warum können sie im Land, das du ihnen gegeben hast, nicht von ihrer Hände Arbeit und dem Reichtum ihrer Erde leben?
Warum lässt du Gott zu, dass sie die Elendsten unter der Sonne sind: gepeinigt, ausgeraubt und in ihrer Würde missachtet?
Gott, mach ein Ende damit, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen und auf der Suche nach neuem Leben sterben müssen.
Wir rufen zu dir: Herr erbarme Dich
Gott, wir halten inne, es verschließt uns den Mund, wenn wir erkennen, wie viele Menschen um unseres Wohlstands Willen, um unserer Unfähigkeit Willen, die Welt zu ändern, umkommen.
Gott, du weißt um jeden Toten, der verdurstet oder ertrinkt, auf seinem Weg scheitert, strandet, – stirbt.
Du weißt um jeden Menschen, Du Liebhaber der Menschen, bei Dir sind geborgen alle Träume.
Du sammelst, Gott, alle Tränen der Mütter und Väter, die zurück bleiben, der Kinder, die ihre Eltern betrauern.
Du sammelst, Gott, unser aller Tränen. Vor Dir schweigen wir und gedenken der Toten.
Wir rufen zu dir: Herr erbarme Dich
Gott, in Jesus Christus hast Du alle Menschen befreit, Du hast uns befreit und zur Versöhnung bereit gemacht.
Deinen Geist gieße über uns aus, damit wir die Trauer, die Scham und die Wut verwandeln in ein Handeln,
das Liebe und Frieden, Gerechtigkeit und Erneuerung ermöglicht.
Hilf uns, Handlungsschritte zu sehen, Mut zu haben, sie zu wagen und mit Freundinnen und Freunden gemeinsam neue Wege zu gehen.
Wir rufen zu dir: Herr erbarme Dich
LIED: 440 Hilf Herr meines Lebens
A: Liebe Gemeinde,
Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.
Ein so alter Psalm. Und doch so nah, so berührend. Der Psalmbeter weiß, wovon er redet.
Das Wasser steht ihm bis zum Hals. Und bei ihm ist das kein Spruch, mal eben so gesagt.
Über all die Jahrhunderte spüren wir die große Angst. Ja, Angst.
Angst, die so gern verdrängt wird, belächelt.
Aber wer Angst kennt, weiß, wie das ist. Sie packt dich vom großen Zeh bis in die Haarspitze.
Du wirst geschüttelt, du kriegst dich eben nicht in den Griff, du gerätst in Panik, deine Welt gerät aus den Fugen, und Angst bestimmt dich.
Da ist ein Zittern im ganzen Körper, das nicht unter Kontrolle zu bringen ist. Ja, Angst kann die Seele aufessen.
In einer Situation der Angst beginnt ein Mensch zu Gott zu schreien.
Das ist heute so wie in den Zeiten des Psalmbeters.
Selbst Menschen, denen Religion nichts bedeutet, rufen in der Not manches Mal Gott an.
Und diejenigen, die glauben, sie flehen ganz bewusst zu Gott.
Ja, wenn wir Angst haben, beten wir: Gott verschon mich, bitte! Ich will nicht scheitern. Oder: Ich will nicht sterben.
Wer leidet, ruft zu Gott. Und Tausende von Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertrinken, sie werden nur noch diesen Schrei kennen. Gott, hilf mir. Gleich welcher Nationalität, gleich welchen Glaubens: Gott, hilf mir!
Wie kann nur es sein, dass wir diese Dramen so verdrängen?
Es sind Dramen, menschliche Tragödien, die sich abspielen vor den Inseln, auf denen viele von uns so gerne Urlaub machen.
Und da stoßen dann plötzlich um ihr Leben bangende, halb verhungerte Menschen auf wohlgenährte Urlauber im Badeanzug.
Die einen suchen Entspannung, die anderen kämpfen um ihr Leben.
Die ganze Ungerechtigkeit dieser Welt tritt in so einem Bild vor Augen.
Auge in Auge, von Mensch zu Mensch die abgrundtiefen Spannungen unserer Welt, die wir so oft verdrängen.
So lasst uns beten, dass Gott den Flüchtlingen und uns am sicheren Ufer gnädig sei.
Und lasst uns handeln, damit Menschen ans sichere Ufer gelangen. Und lasst uns dafür eintreten, dass Menschen dort, wo sie leben, eine gerechte Lebenschance erhalten.
Lasst uns dazu beitragen, dass wir Menschen auf der Suche nach einer Lebenschance nicht zu Objekten machen, sondern für die Gerechtigkeit Sorge tragen, die ihnen eine eigene Chance eröffnet, ihr Leben zu gestalten. Amen.
Bekenntnis zu Frieden und Gerechtigkeit (gemeinsam)
Ich glaube an Gott,
der die Liebe ist,
und der die Welt allen Menschen geschenkt hat.
Ich glaube nicht an das Recht des Stärkeren,
an die Stärke der Waffen,
die Macht der Unterdrückung.
Ich glaube an Jesus Christus,
der gekommen ist, uns zu heilen,
und der uns aus allen tödlichen Abhängigkeiten befreit.
Ich glaube nicht, dass Kriege unvermeidlich sind,
dass Friede unerreichbar ist.
Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen,
die berufen ist, im Dienste der Menschheit zu stehen.
Ich glaube nicht, dass Leiden umsonst sein muss,
dass der Tod das Ende ist,
dass Gott die Zerstörung der Erde gewollt hat.
Ich glaube, dass Gott für die Welt eine Ordnung will,
die auf Gerechtigkeit und Liebe gründet,
und dass alle Männer und Frauen gleichberechtigte Menschen sind.
Ich glaube an Gottes Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde,
wo Gerechtigkeit und Friede sich küssen.
Ich glaube an die Schönheit des Einfachen,
an die Liebe mit offenen Händen,
an den Frieden auf Erden. Amen.
Fürbittengebet (meditative Musik)
Teelichter stehen bereit, die angezündet werden können und mit einem gesprochenen
Gebet oder still vor dem Altar abgestellt werden können.
Gott, gib uns Kraft zur Trauer, Kraft für Phantasie und Hilfe, um Abhilfe zu schaffen und
tatkräftige Unterstützung zu leisten.
LIED: 430 Von guten Mächten 1+2+5
Gemeinsames Vaterunser
Segen
Gott, segne unsere Hände
dass sie behutsam seien,
dass sie halten können ohne Fessel zu werden,
dass sie geben können ohne Berechnung,
dass ihnen innewohne die Kraft zu trösten
und zu segnen.
Gott, segne unsere Augen,
dass sie Bedürftigkeit wahrnehmen,
dass sie das Unscheinbare nicht übersehen,
dass sie hindurchschauen durch das Vordergründige,
dass andere sich wohlfühlen können unter unserem Blick.
Gott, segne unsere Ohren, dass sie deine
Stimme zu erhorchen vermögen, dass sie hellhörig seien für die Not, dass sie verschlossen seien für den Lärm und das Geschwätz, dass sie das Unbequeme
nicht überhören.
Gott, segne unser Herz,
dass es Wohnstatt sei deinem Geist,
dass es Wärme schenken und bergen kann,
dass es reich sei an Verzeihung,
dass es Leid und Freude teilen kann.
Dies gewähre uns der gütige und
menschenfreundliche Gott, den wir erfahren mütterlich und väterlich, geschwisterlich in Jesus Christus und als Beziehungsgeschehen im Heiligen Geist,
heute und alle Tage in Zeit und Ewigkeit.
Amen.
LIED: 453 Bewahre uns Gott