Erntedank 27. So. C – 2022
Stellen Sie sich doch mal Folgendes vor: Sie sind bei Ohlmeier zu einem Hochzeitsfestessen eingeladen. Der Tisch professionell gedeckt. Und dann kommt der erste Gang des Essens – Sie schieben das Besteck an die Seite und essen alles mit den Fingern. Und – Geht gar nicht.
Bei meinen Kindern und Enkelkindern habe ich immer erlebt, dass sie vieles gerne mit den Fingern essen. Tasten und Fühlen bringt uns einen intensiven Kontakt mit den Speisen.
Kleine Kinder zeigen uns wie wichtig Fühlen auch beim Essen ist.
Unser jüngstes Enkelkind Benjamin hat Freude, wenn er mit den Fingern ist. Das Brot knetet er und formt Figuren daraus. Bei weicherem Essen, wie Marmelade Brei oder Kuchenteig verschmiert er sich gerne damit das ganze Gesicht. Natürlich kann er noch nicht mit Messer und Gabeln umgehen, aber er genießt das Essen und kostet die Berührung richtig aus.
Bei unserm kultivierten Essen, da rückt dieser Tastsinn fast völlig in den Hintergrund.
Nur unser Mund ertastet, ob das Essen weich ist oder hart, ob zäh oder klebrig.
Während die anderen vier Sinne – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken – bei einem gepflegten Mahl voll auf ihre Kosten kommen, wird der Tastsinn weitgehend ausgeschaltet.
Das ist ein nicht zu unterschätzender Verlust.
Und derVerlust wiegt umso schwerer, als unser Jahrhundert, das Jahrhundert der Berührungslosigkeit zu werden scheint.
In den alltäglichen Beziehungen herrschen abstandhaltende Umgangsformen vor, nicht nur wegen Corona. Körperberührungen unterliegen schnell dem Verdacht der Übergriffigkeit.
So komisch es klingt, aber bald berühren wir überhaupt nur noch Touch Screens am Rechner.
In der Bibel lesen wir ein ganz anderes Bild von Jesus.
Jesus berührt alles und alle – und seine Berührungen tun gut, sie heilen.
Er ergreift die Hand, er umarmt die Kinder und legt den Kranken die Hand auf den Kopf.
Und Jesus lässt sich selbst auch berühren, auch von Menschen, die nach jüdischem Recht als „unrein“ gelten.
Unser Jesus ist ein kontaktfreudiger, ein berührungsfreudiger Mensch.
Und das tut den Menschen in seiner Nähe gut – und ihm wohl auch.
Natürlich hat Jesus damals beim Essen auch einen Großteil der Nahrung mit den Händen genommen und in den Mund gesteckt, wie es üblich war und heute in vielen Ländern südlich des Äquators noch ist.
Und in besonderer Weise hat das damals auch für das Brot gegolten.
Das Brechen des Brotes macht Jesus so einmalig, dass ihn die Jünger von Emmaus erst daran am Osterabend erkannt haben.
Nicht am Klang seiner Stimme, nicht an seinem Gang, sondern am Brechen des Brotes. Das ist unser Jesus, – unverwechselbar, einzigartig.
Brot brechen ist ein Tun mit den Händen.
Wer Brot bricht, spürt seine Oberfläche, seine Struktur, seine Feuchtigkeit und Festigkeit.
Ein feines Weißbrot fühlt sich anders an als ein Vollkornbrot.
Ein Knäckebrot bricht und ein Brotfladen reißt.
Die Praxis des Brotbrechens bei Jesus ist ein Feuerwerk an Eindrücken für den Tastsinn.
Und die gebrochenen Stücke wandern weiter durch die Hände der Jünger in die Hände der wartenden hungrigen Menschen.
Von Hand zu Hand, wandert das Brot, wie bei uns gleich.
Es wird berührt und erspürt.
Es weckt Vorfreude auf den Verzehr – denn was gibt es köstlicheres und lebenserhaltendes als ein gutes leckeres Brot.
Heute an Erntedank lade ich sie ein, hier auf dem Hof, während der Predigt, das Brot miteinander zu teilen. (5 Fladenbrote verteilen)
Vielleicht versuchen sie es mit geschlossenen Augen zu ertasten und zu spüren, wie wundervoll diese Berührung ist. Machen sie das auch mal zuhause mit ihrer Familie und sie werden spüren, dass es den Genuss des Essens erhöht.
Und wer intensiver genießt, wird dankbarer für das, was er genießt.
Er ahnt viel tiefer die Kostbarkeit der Nahrung.
Ganz besonders aber lade ich sie ein, jenes Brot so aufmerksam zu empfangen, dass der Priester im Gottesdienst bricht und dass wir Gott sei Dank seit dem II. vatikanischen Konzil wieder, wie zu Jesu Zeiten, in der offenen Hand empfangen können.
Die Handfläche ist eine der tastempfindlichsten Zonen unseres Körpers.
Wenn wir den eucharistischen Leib auf unserer Handfläche entgegennehmen, dann berührt Jesus uns an einer der empfindsamsten Stellen unseres Körpers.
Er berührt uns so, wie damals die Kranken, die Ausgegrenzten und die Kinder.
Schließen sie einfach mal die Augen, wenn ihnen das eucharistische Brot auf die Hand gelegt wird, und genießen sie ganz lustvoll diese leibhaftige Nähe Gottes.
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder.
Ihr lieben Kinder – schön, dass ihr da seid.
Von euch können wir lernen, soviel!
Ihr zeigt uns, wie viel Freude es macht, die Berührung von Lebensmitteln zu erleben und zu genießen.
Ihr macht uns deutlich, was wir Erwachsenen durch viel zu enge Tischsitten verlieren.
Wer mit allen Sinnen, wirklich genussvoll isst und trinkt, kann gar nicht anders als dankbar sein, wieviel köstliches ihm geschenkt wird – und das jeden Tag.
Heute am Erntedankfest und immer wieder sollten wir uns das bewusst machen.
Erntedank – Danke Gott!
Und jetzt dürfen sie das Brot auch bei ein bisschen Musik genießen.