Wort zum Sonntag 21.01.2006-01-17 „Jeder Mensch ist ein Künstler!“
„Ich begreif es nicht!“. „Ich versteh es nicht!“. „Ich spüre nichts!“. „Ich will es verstehen!“. „Ich hab keine Antenne dazu!“ „Ich erkenne nichts!“ Tonnen von Unschlitt – Unschlitt kennen Sie auch nicht – vielleicht Tallow?, auch nicht? – das tut gut – bin ich nicht alleine. Jedenfalls Tonnen davon liegen da rum, scheinbar gegossen und nachgeformt, scheinbar wahllos auf dem Boden abgelegt. Es fällt bald auseinander, zum Teil gehalten von schweren Stahlbändern, angeschlossen an elektronische Geräte zur Überwachung. Gruppen stehen drum rum, unterhalten sich, diskutieren – scheinbar Fachleute aus der ganzen Welt. Ich hab keine Idee, ich verstehe es nicht, warum hilft mir den keiner – und das ganze kostet Millionen. „Unschlitt/Tallow“ ein Kunstwerk von Joseph Beuys von 1977, gesehen, erlebt in Berlin vor 2 Wochen im Deutschen Museum, eine ganze Halle voll, Talg mit Stearin soll es sein. Die ganze Welt spricht darüber und ich – ich verstehe nichts, erkenne nichts und begreife nichts. Joseph Beuys, weltweit anerkannt, ist seit 1986 tot, aber ich kenne den jetzigen Besitzer dieses Kunstwerks, ein Kunstmäzen, er hat viele davon. Gerne spricht er nicht mit mir über Kunst, überhaupt nicht, lieber mit Fachleuten, aber wenn er anfängt leuchten seine Augen, sein Herz läuft über und Tonnen von Talg bieten Stunden von Erklärung, Stürme von Begeisterung und nicht enden wollende Faszination und er könnte den Rest seines Lebens erzählen. Kunst muss man nicht nur anschauen, Kunst muss man lieben, erleben, ertasten, erklärt bekommen, mit dem Auge und Herzen fühlen. An dem Tag hab ich es nicht begriffen. Worte, endlose Worte, unverständliche Worte, Worte aus einer anderen Welt, Worte, die ich höre und die nicht ankommen. Schwerverständliche Worte, Worte die mein Herz nicht erreichen.
Anders auf dem Kirchentag 2003 in Berlin, Tausende von begeisterten Menschen, strahlende Augen, Freundlichkeit und Verständnis füreinander oder auf dem Weltjugendtag 2005 in Köln, Millionen junger Menschen aus aller Welt, begeistert, motiviert, angesteckt. Sie hatten verstanden, selbst beim Moderator im Fernsehen war die Botschaft angekommen. Die Stimmung hatte sein Herz erreicht. Er hatte auch verstanden, er spürte den Geist dieses Treffens. Und dann hörten wir in diesen Tagen diese Worte – „Und das Wort ist (Mensch) Fleisch geworden!“ und hat unter uns gewohnt. Jetzt habe ich es verstanden. Endlich, natürlich, so ist es. Jetzt ist es auch mir gesagt, jetzt ist es angekommen. Er ist einer von uns, nicht abstrakt, keine fremde Welt, nicht Kunst – unverständlich und unbegreiflich, nein ganz nahe, neben mir, hinter mir und in mir. Einer von uns. Jetzt versteh ich ihn, jetzt erst kann ich ihn begreifen – oder doch nicht?! So ist das gemeint: „Das WORT ist Fleisch geworden“, nicht mehr nur theoretisch, nicht mehr nur Klang, kein Kunstwerk, nicht reduziert auf das Notwendige, nein wirklich, ganz und real, lebendig, ein Mensch, einer von uns. Warum hat mir das keiner so gesagt? Warum habe ich es jedenfalls nicht gehört, nicht so jedenfalls, nicht so ansteckend? Es ist doch so einfach. Er ist Mensch geworden, einer von uns, wie Schwester oder Bruder oder Mutter oder Vater. Endlich habe ich es scheinbar begriffen, jetzt ist mir das Ganze nahe, endlich ist es drin. Lasst es doch so, so kann ich damit leben, so hilft er mir wirklich. So kann ich ihn fühlen, anpacken, begreifen, mitnehmen und er mir zu eigen werden. Lasst doch das Wort bei den Menschen. Lasst ihn doch selbst sprechen, dann kann ich es spüren, dann erahne ich den Menschen im Wort. Versucht doch nicht immer wieder das Fleisch wieder zum Wort zu machen. Keiner wird es begreifen. Keiner wird es lieben, keiner wird es suchen und auch nicht finden. Es ist gut so – das Wort ist Fleisch geworden und wohnt bei den Menschen. Mehr Erklärung braucht keiner, der verstehen will. Ob ich das WORT wirklich verstanden habe? – wahrscheinlich nicht, aber das was ich verstanden habe, erreicht mein Herz. Das was ich verstanden habe kann ich weitererzählen. Das was mein Herz erreicht hat, damit kann ich leben. Das Feuer, das in mir brennt kann ich weitergeben. Das tut so gut. Das steckt an. „Jeder Mensch ist ein Künstler“ hat Beuys gesagt. Das kann ich jetzt auch verstehen. So kann und will ich mit ihm an dieser Welt mitgestalten und, auch wenn ich es doch nicht ganz begriffen habe, in diese Welt rufen „Das Wort ist Fleisch geworden!“ Er ist da – spürst du ihn nicht? Wer sich nicht anstecken lässt, wird ihn nie begreifen, nie erfahren und spüren – schade eigentlich.
Ihr Arthur Springfeld, Diakon (oder Künstler?)