Silvester – Mittwoch, 31. Dezember 2014
NEUJAHR Donnerstag, 1. Januar 2015
Liebe Schwestern und Brüder!
Es gibt wohl – außer in der Sürenheide – nur wenige Kirchen, an denen nicht eine Uhr angebracht ist. Das hat sicher zunächst rein praktische Gründe: weil die Kirchtürme so hoch sind, kann die Uhr von allen gesehen werden – was besonders wichtig war zu einer Zeit, wo nicht alle Menschen eine eigene Uhr besaßen.
Diese praktischen Erwägungen können aber nicht allein der Grund für Kirchturmuhren sein. Immerhin gibt es ja in großen Kathedralen im Inneren Uhren, die häufig sehr kunstfertig gefertigt sind. So etwa heute noch in Münster in Lamberti, in Straßburg, früher aber auch in Paderborn im Dom im sogenannten Hasenkamp.
Und diese Uhren hatten nicht nur den Sinn, den Prediger daran zu erinnern, dass seine Predigt ein bestimmtes Zeitmaß nicht überschreiten durfte. Es gibt auch einen inneren Zusammenhang zwischen den Uhren in den Kirchen und dem Glauben, der im Gotteshaus gefeiert wird.
Die theologische Aussage der Uhren an oder in Kirchen ist diese: auch die Zeit ist ein Geschöpf Gottes. Sie ist sein Geschenk an uns. Jedem von uns teilt Gott ein bestimmtes Maß davon mit. Die Zeit, die Gott schenkt, ist die Zeit meines Lebens. Sie dauert nicht ewig. Mein Leben ist begrenzt. Als Geschöpf ist die Zeit endlich wie alle anderen Kreaturen.
Die Zeit ist wie ein Raum, ein begrenzter Raum. Sie ist der Raum, in dem sich mein Leben abspielt. „Alles hat seine Zeit!“ heißt es deshalb im Buch Kohelet. Es gibt eine Zeit des Lachens und eine Zeit des Trauerns, eine Zeit des Umarmens und eine Zeit, die Umarmung zu lösen. Die Zeit schenkt mir beides: das Schöne und das Schwere, das Freudige und das Traurige. Das haben wir im letzten Jahr erlebt. Das werden wir im Neuen Jahr wieder erleben.
Heute (Silvesterabend / Neujahrsmorgen) halten wir inne, betrachten unsere Zeit. Wir nehmen wahr: es ist nicht selbstverständlich, dass wir Zeit haben. Der Gedanke, dass die Zeit ein Geschenk Gottes an uns ist, kann in uns ein Dreifaches bewirken:
Dieser Gedanke kann uns zuerst Trost spenden.
Wir haben Trost immer dann nötig, wenn wir unsere Endlichkeit erfahren, wenn wir unsere Grenzen spüren, dadurch dass wir Schuld auf uns laden oder dadurch, dass unser Leben durch Krankheiten eingeschränkt ist.
Wir haben Trost nötig, wenn wir von lieben Menschen für immer Abschied nehmen müssen.
Der Trost, der uns dann geschenkt wird, ist der:
Egal, was die Zeit mit sich bringt, immer ist sie die Zeit Gottes.
Es kann keine Zeit geben, die aus ihm heraus fällt, die nicht von ihm getragen wird.
So war es im alten Jahr und so wird es im neuen Jahr sein:
Gott geht alle unsere Wege mit.
Er ist bei uns.
Unsere Zeit ist seine Zeit.
Er hat alles, was geschieht vorbedacht und er weiß Lösungen, wo wir nur Fragen sehen.
Der Gedanke an die uns von Gott geschenkte Zeit fordert natürlich dann auch unsere Verantwortung heraus: weil die Zeit Gottes Zeit ist, müssen wir gut mit ihr umgehen.
Wir dürfen sie nicht verschleudern oder sie – wie es mit einem, wie ich finde, grässlichen Ausdruck gesagt wird – totschlagen.
Zeit zu töten ist im gewissen Sinn mit einem Mord vergleichbar.
Paulus sagt uns vielmehr: Nutzet die Zeit! Kauft die Zeit aus!
Nicht in erster Linie um wirtschaftliche Erfolge zu erzielen, nicht in erster Linie um die Karriereleiter zu erklimmen.
Christen nutzen die Zeit, um christusähnlicher zu werden, heranzureifen zu dem Menschen, wie Gott ihn sich gedacht hat.
365 Tage hat uns Gott Zeit im Letzten Jahr dafür gegeben, 365 Tage gibt uns Gott im Neuen Jahr wieder Zeit dazu.
Und er lädt uns ein, diese Zeit zu nutzen, denn sie ist seine Zeit.
Und das kann uns im Letzten Mut machen.
Neben dem Dank für die Zeit des letzten Jahres kann uns heute Vertrauen erfüllen im Blick auf die kommenden Monate, Wochen und Tage.
Immer wieder werden wir auch im neuen Jahr auf die Uhr schauen.
Wann immer wir es tun, wir sollten daran denken, dass die Zeit, die dort angezeigt wird, die Zeit Gottes ist – uns geschenkt zu unserem Heil.
Denken wir an die Worte, die Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis 1944 am Silvesterabend geschrieben hat:
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Amen.