Christkönigssonntag – Lesejahr A (Mt 25,31-46)
„Bitte anschnallen, wir landen in wenigen Augenblicken!“
Liebe Schwestern und Brüder,
so eine Ansage läßt in mir ganz eigene Gefühle hochkommen. Wenn ich an die Landung mit einem Flugzeug denke, dann ist mir immer etwas unwohl zumute. Nicht umsonst eignet sich die Landung eines Flugzeuges im Kino so trefflich für die gehörige Portion Nervenkitzel, und nicht umsonst bietet diese Prozedur schließlich Stoff für -zig Katastrophenfilme. Und seit ich selbst zumindest am Computer schon ein paar mal versucht habe, so einen Vogel sicher auf der Landebahn aufzusetzen, und mich dabei meist wie Quax der Bruchpilot benommen habe, ist mein Respekt vor diesem Unterfangen nur noch größer geworden.
Mit dem Wort Landung verbinden sich für mich und andere nun einmal eher unangenehme Vorstellungen. Und das hängt sicher zum einen mit den nicht nachlassenden Meldungen über immer neue Flugzeugkatastrophen zusammen. Das kann aber nicht der einzige Grund dafür sein.
Interessanterweise beschränkt sich dieses unangenehme Gefühl nämlich für die meisten Menschen fast ausschließlich auf das Ende des Fluges. Komischerweise ändert das nichts an meinem Wunsch,jede Chance zu nutzen, wo ich wieder mal fliegen kann. Ungeachtet aller
Katastrophenmeldungen träume ich immer wieder davon, mit dem Flugzeug ganz weit in die Ferne zu fliegen, oder gar zu fernen Sternen zu reisen. Und hinter diesem Traum, den ich sicher mit vielen Menschen gemeinsam träume, steckt ja sicherlich mehr dahinter, als nur der Wunsch, mit einem modernen Transportmittel befördert zu werden.
Letzendlich geht es hier – davon bin ich überzeugt – um den uralten Menschheitstraum, den Traum von Daedalos und Ikaros nämlich, den Traum, sich einmal in die Lüfte zu erheben, all das Schwere, das uns tagtäglich umgibt, einmal hinter sich zu lassen, diese grenzenlose Freiheit über den Wolken zu erleben, von der Reinhard Mey singt.
„Wind Nord-Ost, Startbahn null, drei,
bis hier hör ich die Motoren.
Wie ein Pfeil zieht sie vorbei,
und es dröhnt in meinen Ohren,
und der nasse Asphalt bebt.
Wie ein Schleier staubt der Regen,
bis sie abhebt und sie schwebt
der Sonne entgegen.“
Davon träume ich, davonzufliegen wie ein Vogel.
In dem gleichen Maße aber, wie ich davon träume, in dem gleichen Maße fürchte ich aber insgeheim, daß es schon wieder an die Landung geht. Landen heißt, wieder auf der Erde aufzusetzen, aus den Träumen auf den Boden der Tatsachen heruntergeholt zu werden, dem Fliegen ein Ende machen.
Fliegen ist der Traum, Landen heißt aufhören mit Träumen.
Mein dummes Gefühl, das ich mit jener Lautsprecheransage verbinde, ist daher grundsätzlicher und tieferer Natur. Und diese Ansage, die das Landen ankündigt, die gehört für mich daher genau an diese Stelle unseres Gottesdienstes, hierhin, unmittelbar hinter das Evangelium vom Weltgericht. So wie man mit Reinhard Mey und seinem Lied „Über den Wolken“ diese Aufbruchsstimmung verbinden kann, diesen Start hinein in diese unbekannte göttliche Sphäre, der Sonne entgegen, so kann man mit dem Evangelisten Matthäus und seiner gleichnishaften Schilderung der Gerichtsrede die andere Seite unserer Religiosität verbinden.
Der Botschaft vom menschgewordenen Gott, der durch die Welt zieht und die Menschen um sich schart, wohnt die Dynamik von warmlaufenden Motoren inne, die Spannung, die unmittelbar vor dem Abheben herrscht. Das Evangelium vom auferstandenen Christus, von ihm, der in das Reich der Himmel aufgefahren ist, der uns mit hinein nimmt in diese himmlische Wirklichkeit, erhebt uns wie beim Start, läßt uns einen Blick tun, über die Wolken, in eine Welt wo die Freiheit wohl grenzenlos sein muß; die Böcke und Lämmer bei Matthäus und der auf die Erde zurückkommende Herr, entreißen uns aus diesen himmlischen Träumen, werfen zurück auf die irdische Wirklichkeit, machen dem Erheben ein Ende.
„Bitte anschnallen, wir setzen zur Landung an.“ Der Flug ist vorüber, das Spiel ist aus.
Ein Evangelium, das man am liebsten links liegen lassen würde. Von ihm zu sprechen, hat kaum etwas mit Begeisterung zu tun, die Rede vom Gericht bringt zunächst einmal mindestens Ernüchterung mit sich, eine Stimmung ähnlich der, die Reinhard Mey in der letzten Strophe seines Liedes fast unnachahmlich zum Ausdruck bringt:
„Dann ist alles still, ich geh‘,
Regen durchdringt meine Jacke,
irgendjemand kocht Kaffee
in der Luftaufsichtsbaracke.
In den Pfützen schwimmt Benzin,
schillernd wie ein Regenbogen.
Wolken spiegeln sich darin.
Ich wär gern mitgeflogen.“
Aus der Traum? Noch nicht ganz! Gerade in dieser Strophe von Meys Lied, bin ich über einen Vers gestolpert, der begonnen hat, das heutige Evangelium zu verzaubern. Wie war das doch mit dieser eigenartigen Pfütze?
„In den Pfützen schwimmt Benzin“, hat es geheißen. Inbegriff unseres Alltages mit all den Vergiftungen psychischer und physischer Art. Aber was tun diese verdreckten Pfützen? „In den Pfützen schwimmt Benzin, schillernd wie ein Regenbogen!“
Ich glaube nicht, daß Reinhard Mey beim Schreiben dieser Strophe daran gedacht hat, daß er mir damit den Schlüssel für das Evangelium vom Weltgericht in die Hand legt. Aber da taucht unvermittelt das Wort Regenbogen auf, und da muß der jemand der theologisch denkt schließlich hellhörig werden: Wie ein Regenbogen, wie das uralte Zeichen, das den Bund Gottes mit uns Menschen symbolisiert. Und dieser Bogen steht hier auf einmal nicht dort, wo man ihn erwarten würde, nicht in den Wolken, dieser Bogen zeichnet sich ab, in den dreckigen, verkorksten Pfützen ganz unten, auf dem Boden. Dort, wo ich den Kranken aus dem Evangelium begegne, den Fremden und Gefangenen, auf dem Boden, auf dem ich meinen Alltag erlebe, dort schillert dieser Bogen, das Symbol, der Anwesenheit Gottes, der Thron der Wiederkunft Christi, das Zeichen des Bundes, seiner Zuwendung.
Und plötzlich beginnt für mich das Evangelium in einer ganz anderen Sprache zu sprechen. Da stehen auf einmal keine Böcke und Schafe mehr im Vordergrund, da geht es nicht mehr um Belohnung und Bestrafung, da höre ich auf einmal, daß von Begegnung mit Gott die Rede ist, und davon, daß die sich in meinem Alltag vollzieht, daß dieser keine bedrückende Last ist,
etwas, was man am besten gleich hinter sich läßt, wovor man in seinen Träumen am geschicktesten gleich davonläuft, im Gegenteil, daß es sich lohnt, dieses Leben zu leben, daß es auf dieses Leben ankommt, es nichts belangloses, daß es entscheidend ist, und das alles deswegen, weil sich in diesem Leben in der Begegnung mit dem anderen Begegnung mit Gott
ereignet, weil der Bund, den Gott mit mir geschlossen hat, hier, in diesem Leben greift, weil dieser Bund die Pfütze, dieses Leben verwandelt.
Der graue Alltag, vor dem ich gerade eben noch davonlaufen wollte, wird plötzlich zum Ort, an dem ich im anderen Gott begegne. Und das zunächst ach so schreckliche Evangelium spricht auf einmal davon, daß ich vor diesem ach so grausig richtenden Gott, nicht etwa dadurch bestehe, daß ich aus dieser Welt ausziehe, einem ach so fernen Jenseits entgegeneile, und was weiß Gott für Purzelbäume unternehme. Diesem Gott gegenüber bestehe ich, schlicht und ergreifend indem ich meiner Verantwortung für den anderen gerecht werde.
Das heutige Evangelium ist die Botschaft vom mir im anderen begegnenden Gott, vom Gott, vor dem ich bestehen kann, wenn ich den anderen nicht aus dem Auge verliere. Es ist Evangelium, Evangelium, das vom Erheben spricht, aber nicht vom Abheben und Schweben einer fernen Sonne entgegen, es spricht vom Aufstehen, vom Erheben der Erde und den Menschen entgegen.
Amen.