FIRMUNG am 27. Mai 2000 St. Judas Thaddäus Verl – Sürenheide
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Nein, diese Eltern !
„Oh, Gott, nerven mich diese Eltern. Was dieses blöde Gemecker, nur weil ich ein paar mal die Haus-aufgaben nicht gemacht habe. Na klar habe ich im Unterricht gequatscht, aber muss deswegen der blöde Lehrer gleich bei meinen Eltern anrufen? Die spinnen alle, wenn ich wollte, wäre ich der Beste in der Klasse! Aber bin ich denn ein Streber? Und überhaupt: lernen, bin ich denn bescheuert, dazu habe ich doch wirklich keine Lust und auch keine Zeit. Mit Freunden ausgehen, Mädchen aufreißen, Computer spielen, Partys und Feten, das ist das richtige Leben, da kommt Freude auf, das heißt Erwachsen werden.
Mir können die Alten doch nichts vormachen. Dass sie selber früher, wie viele Jahre mag das her sein, voller Disziplin und Ehrgeiz steckten, wer will das glauben. Und überhaupt – hochkommen, was werden, das kann man auch anders. Na ja, man vielleicht nicht, aber ich jedenfalls.
Was wollen die überhaupt von mir? Ich soll mich zusammenreißen, meine Chance wahrnehmen? Ich nehme doch meine Chance wahr und lebe mein Leben, frei, ohne Zwänge und Druck..
Verantwortung soll ich übernehmen? Für mich selbst? Aber das tue ich doch, ich lebe doch in meiner eigenen Verantwortung. Ich verantworte was ich mache ……. und das ist auch gut so.
Und jetzt fangen die auch noch von meinen Freunden an, auf die achten soll ich, mir andere bessere Freunde suchen. Meine Freunde sind super. Die sind zwar älter als ich, aber die akzeptieren mich, die nehmen mich überall mit hin, meine Freunde sind O.K. Und außerdem, meine Eltern haben doch sowieso keine Ahnung vom richtigen Leben. So eine Scheiß Schule wie heute, haben die nie erlebt und Discos gab es früher auch nicht und so richtig coole Typen haben die nie kennen gelernt. Und so vierzehn, fünfzehn, sechszehn, das ist ne richtig heiße Zeit. Ich könnte glücklich sein, wenn die Eltern nicht immer so einen Scheiß redeten.“
Martin ging so vieles durch den Kopf, als er sich die Strafpredigt anhörte. Von den ganzen „guten Vorschlägen“ seiner Eltern, wie er sein Leben verbessern könnte, wollte er gar nicht hören. Martin dachte nur daran, wie er diesem elenden Druck endlich aus dem Weg gehen könnte, er hatte die Nase voll.
Seine Freunde hatten ihm schon angeboten, er könne bei ihnen wohnen. „Gar keine schlechte Idee für den Anfang“, dachte Martin.
In der nächsten Nacht packte er seine paar Sachen zusammen, nahm das wenige Geld das er hatte und die achtzig Mark aus Mutters Portemonnaie und zog bei seinen Freunden ein.
„Okay, es ist nur ne alte Matratze“, dachte er, „doch weg von den Eltern, ist zuerst das Wichtigste!“ Mit dem Geld komme ich erst mal ein schönes Stück weiter“.
In der ersten Nacht ging es richtig rund. Party ohne Ende, Spitzenmusik, Mädchen, tanzen und was die für Sorten Alkohol hatten! Zum ersten Mal war Martin richtig betrunken. Sein Kopf dröhnte und brummte, alles schien sich zu drehen, er selbst und das ganze Umfeld. Doch Martin war glücklich. Das genau war’s. Und so ging es weiter – Nacht um Nacht.. Tagsüber wurde geschlafen, manchmal auch ein bisschen Geld verdient mit Jobs, die so anfielen, nicht schwer – Holz stapeln, irgendwo die Straße fegen, Möbel tragen, was halt so anfiel.
In der einen Nacht brachte sein bester Freund dann auch Hasch mit. An diese Nacht kann Martin sich besonders gut erinnern. Das waren vielleicht Farben, die auf einen zukamen, alles war so hell und man konnte fast schweben. Da war eine Harmonie ohne Probleme und Zoff – alles war so weit weg und doch so wunderschön. „Alle scheinen mich hier gern zu haben, überall ist Sonnenschein“, dachte Martin.
Diese Nacht war für Martin ein tiefgreifendes Erlebnis, super, das könnte sein Leben werden. Immer wieder wollte Martin dieses tolle Gefühl bekommen, doch ……… Hasch, Drogen, Alkohol, das kostet Geld und nicht zu wenig.
Doch Martin hatte ja Freunde und seine Freunde hatten Ideen. Da gab es doch diesen kleinen Elektroladen vor der Stadt – ohne Alarmanlage, keiner im Haus.
Es war kein Problem, für die nächsten Wochen reichte das Geld und viele heiße und entspannende Nächte folgten.
Und so zogen auch die Monate ins Land. Martin war glücklich, das könnte sein Leben sein.
Wieder wurde Geld gebraucht, einer kannte einen kleinen Goldschmiedeladen in einem kleinen Dorf, keine Alarmanlage und viel zu holen.
Man hatte sich getäuscht, es gab eine Alarmanlage und ruck zuck war die Polizei da. Martin schaffte es nicht mehr. Er wurde gepackt – nein, war das peinlich.
Einbruch, Diebstahl, Raub – das war die Anklage. Man ging mit ihm um, wie mit einem Schwerverbrecher, und was die ihm noch alles anhängen wollten.
Alleine in der Zelle, die Freunde weg, kein Hasch, kein Alkohol. Auch seine Freunde wurden gepackt – alle „guten Freunde“ beschuldigten ihn, er, Martin hatte die Ideen gehabt, er war der Täter. Keiner entlastete ihn, keiner half ihm und er hatte kein Geld für einen Anwalt.
Warum sollte er eigentlich schuldig sein? Er war doch nur mitgegangen?! Alle hatten doch mitgemacht? Hatten sie nicht Spaß gehabt dabei, Spaß ohne Ende?
Und nun? Wie geht’s weiter? Was kommt danach?
Nach einigen Tagen Untersuchungshaft war Martins Kopf wieder klar. Er konnte frei denken, aber er wusste nicht weiter. Wer könnte ihm helfen? Wer würde ihm nach all dem Mist noch beistehen?
Martin dachte an seine Eltern. Zwei Jahre hatte er sie nun nicht gesehen. gemeldet hatte er sich auch nicht. Er war es ja alles so leid gewesen. Hatte nicht Vater mal gesagt „Was immer auch passiert, in welcher Scheiße du auch steckst, komm nach Hause, wir helfen dir“? Jedenfalls war das so ähnlich, fiel ihm ein. „Ob das auch gilt, wenn ich im Gefängnis sitze?“
„Besser war es zuhause allemal als hier, so schlecht war das zuhause überhaupt eigentlich nicht“, dachte Martin. „Manchmal hatten die Eltern doch recht, zumindest ein wenig.“ „Meine Chancen waren damals eigentlich doch ganz gut, ich hätte auch andere Wege gehen können, ich hätte der Beste sein können!“ Warum habe ich mich eigentlich darauf eingelassen auf diesen Mist?“ „Was wohl meine Eltern von mir denken, ob sie überhaupt noch an mich denken?“ „Wenn ich doch manches anders gemacht hätte. Freunde waren das doch nicht, mit denen ich zusammen war. Nein, das machen Freunde nicht, die wollten nur mein Geld. Vorgeschoben haben die mich, und jetzt sitze ich hier. Warum habe ich das eigentlich nicht gesehen, das hätte man doch erkennen müssen – immer dieser dicke Kopf – Scheiß Hasch!“
„Das Leben wollte ich erleben, und nun sitze ich hier, ich Martin im Knast!“
„Was soll ich nur tun? Mir tut es so leid, richtiger Mist, den ich da gemacht habe. Meine Eltern müssen stinksauer sein, die Polizei war sicher schon da. Was hat Vater damals gesagt? Vielleicht steht er ja wirklich dazu!?
Wenn ich jetzt schreibe, ob sie mir wohl einen Anwalt besorgen, einen guten? Eigentlich sind meine Eltern ganz brauchbar. Ich glaube Mutter und Vater werden mir verzeihen, ganz bestimmt, haben sie doch immer gesagt. Manchmal hat Vater sich damals sogar bei mir entschuldigt nachdem er ausrastete. Muss für ihn ganz schön schwer gewesen sein. Gott war ich manchmal blöd. Was kann ich von meinen Eltern denn jetzt noch erwarten?
Ganz schön schwer fiel es Martin, als er den Brief nach Hause schickte. Einen ganzen Tag hatte er gebraucht um die richtigen Worte zu finden. Er schwankte zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Drei Tage später wurde er in das Besuchszimmer geführt. Besuch wäre da. Wer könnte das sein? Seine alten Freunde – oder wer sonst?
Die Tränen schossen ihm in die Augen als er die Tür öffnete. Mutter war da und hinter ihr, still aber ganz versöhnlich ausblickend, sein Vater.
„Schön dich zu sehen“, sagte Mutter während Vater ihm leicht über die Haare strich.
„Jetzt sind wir da“, sagte Vater und klopfte ihm auf die Schultern. „Wir helfen dir hier erst mal raus“.
Martin war platt, er war ganz erstaunt und verblüfft und erfreut, soviel Freundlichkeit hatte er überhaupt nicht erwartet, nach all dem was geschehen war. Ein Anwalt, schon das wäre ein Geschenk gewesen.
Noch Wochen später, Martin hatte noch mal Bewährung bekommen, die Gedanken gingen ihm nicht aus dem Kopf. „Warum haben meine Eltern das nur getan? Warum haben die so wenig gesagt, nach all dem was geschehen ist? Ich glaube, die mögen mich, trotz allem“.